Ist Online-Therapie wirksam?

von Johanna Trittien · 5 Min. Lesezeit
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Online-Therapie

In den letzten Jahren wurde zunehmend zum Thema Online-Therapie und ihre Wirksamkeit geforscht. Das ist naheliegend, denn der Bedarf an Psychotherapie ist hoch. Viele Menschen suchen zuerst im Internet nach Rat und Informationen in puncto psychische Gesundheit. Aber eine psychotherapeutische Behandlung über das Internet? Für einige klingt das erst einmal ungewöhnlich. Ist eine Online-Therapie überhaupt wirksam, das heißt kann sie psychische Erkrankungen effektiv lindern?

Studien belegen die Wirksamkeit von Online-Therapie

Zahlreiche Studien haben die Wirksamkeit von Online-Therapie schon vor einigen Jahren bewiesen. Sie zeigen, dass ihre Effektivität bei einer Reihe psychischer Erkrankungen vergleichbar hoch ist wie eine reguläre Psychotherapie vor Ort. Vor allem bei depressiven Erkrankungen und Angststörungen konnte die Wirksamkeit einer internetbasierten Psychotherapie nachgewiesen werden. Aber auch bei Schlafstörungen, Essstörungen, Zwangserkrankungen, chronischen Schmerzen und posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) konnte gezeigt werden, dass eine Behandlung online die psychischen Beschwerden wirksam reduziert.

Es existieren auch Online-Selbsthilfeprogramme und digitale Apps, die effektiv sind. Allerdings werden sie meist vorzeitig abgebrochen, da es meist keinen persönlichen Ansprechpartner und keine aktive therapeutische Unterstützung. Am meisten profitiert man von der Therapie, wenn man sich im persönlichen Kontakt mit einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten austauschen kann. Dies fördert die therapeutische Beziehung.

Online-Psychotherapie und psychologische Online-Beratung sind bereits weitverbreitet

In vielen Ländern sind Online-Angebote im Vergleich schon länger verbreitet: In den USA, Großbritannien, Schweden, den Niederlanden oder der Schweiz gehören online durchgeführte psychologische Therapie und psychologische Beratungen längst zum Alltag. Vor dem Hintergrund der belegten Wirksamkeit ist das gar nicht verwunderlich. Andererseits nutzen Patienten in Deutschland reine Online-Psychotherapie noch sehr wenig. Dies liegt hauptsächlich daran, dass die öffentlichen Krankenkassen die Kosten noch nicht übernehmen.

Online-Therapie bietet kurze Wartezeiten und wesentliche Vorteile

Die Zeitersparnis ist bei einem Online-Termin natürlich deutlich höher, da die Anfahrtszeiten und sonstige Wartezeiten entfallen. Für viele lässt sich dadurch auch leichter ein Termin im vollen Kalender finden. Gerade bei akuten Beschwerden kann Online-Therapie oder eine Beratung per Telefon schnell helfen.

Online-Psychotherapie hilft in Situationen, in denen Therapie vor Ort nicht möglich ist. Dies war für viele Menschen in Zeiten von Corona relevant. Aber auch ein längerer Urlaub oder ein berufsbedingter Aufenthalt im Ausland sind gute Anwendungsfälle, da Sitzungen hier einfach fortgesetzt werden können.

Körperlich beeinträchtigte Menschen und Menschen mit starken psychosomatischen Beschwerden können oft online eine fundierte Psychotherapie erhalten, auch wenn sie aufgrund ihrer Symptome nicht mehr aus dem Haus gehen können. Sie erhalten so schnellen Zugang zu psychologischer Hilfe, bevor sich eine Situation weiter verschlimmert. So kann etwa eine Verhaltenstherapie bei der psychotherapeutischen Behandlung von Depressionen sehr effektiv sein, sofern sie unverzüglich begonnen wird.

Auch Versorgungsengpässe bei der klassischen Psychotherapie und die damit oft verbundenen monatelangen Wartezeiten lassen sich durch passende Online-Angebote überbrücken.

Die räumliche Distanz bei einer internetbasierten Psychotherapie hilft manchen Patienten offener über gewisse Themen, als es ihnen bei einer klassischen Psychotherapie gelingen würde.

Online-Therapie eröffnet neue Türen in meinem Therapie-Alltag. Sie ermöglicht uns, schnell auf akute Fälle zu reagieren, Verzögerungen durch Distanz oder körperliche Einschränkungen zu überwinden und sogar schwierige Themen leichter anzusprechen. Es ist ein wertvolles Werkzeug, das uns hilft, die Lücken im traditionellen Therapieangebot zu schließen.

Johanna Trittien, Psychologische Psychotherapeutin

Die Nachteile von Online-Therapie halten sich in Grenzen

Natürlich ist Online-Psychotherapie nicht für alle psychischen Beschwerden geeignet. Gerade bei sehr starken und akuten psychischen Erkrankungen wie einer schweren Depression ist eine ambulante Psychotherapie oder eine stationäre Therapie meist angemessen.

Überdies fühlt sich ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht anders an, als ein Gespräch über den Bildschirm. Wie sehr dies ins Gewicht fällt, hängt jedoch sehr davon ab, was die Schwerpunkte der jeweiligen Sitzung sind. So ist zum Beispiel bei schweren Depressionen eine klassische Psychotherapie zu empfehlen. Gerade für kognitive Verhaltenstherapie ist aber eine Behandlung via Internet gut geeignet, da diese auf sehr praktischen Übungen basiert.

Zudem stellen die technischen Voraussetzungen für eine Online-Therapie eine mögliche Herausforderung dar. Ein wackeliges Bild oder Störungen im Ton können das natürliche Gespräch erschweren. Man kann sich jedoch gut auf solche Momente vorbereiten: Indem man die Technik rechtzeitig vor dem Termin prüft (Internetverbindung, Mikrofon). Dies ist einfach, denn es ist normalerweise keine spezielle Software notwendig. Gleich am Anfang lohnt es sich, mit der Psychotherapeutin oder dem Psychotherapeuten zu besprechen, wie mit einer möglichen technischen Störung umgegangen wird (zum Beispiel erfolgt dann einfach ein Telefonanruf). 

Die Wirksamkeit der therapeutischen Beziehung bei Online-Therapie

Einer der bedeutsamsten Wirkfaktoren für eine erfolgreiche Therapie stellt die Qualität der Beziehung zwischen Patient und dem Psychologen dar. Studien fanden heraus, dass bei einer persönlichen Sprechstunde online eine vergleichbar gute therapeutische Beziehung aufgebaut werden kann wie bei einer klassischen Behandlung. Interessanterweise scheinen viele Menschen gerade aufgrund der räumlichen Distanz offener und leichter über ihre Probleme sprechen zu können. Das wiederum ist hilfreich für eine erfolgreiche Therapie. Natürlich unterliegt Online-Therapie auch der ärztlichen Schweigepflicht.

Fazit

Zusammengefasst bieten Online-Psychotherapie und psychologische Online-Beratung viele Vorteile. Ihre Wirksamkeit wurde wissenschaftlich geprüft und belegt. Vor allem, wenn man unkompliziert und ohne die oft sehr langen Wartezeiten professionelle Hilfe erhalten möchte, kann sich eine Online-Therapie lohnen. Sollten Videogespräche noch Neuland sein, muss dies kein Hindernis für eine Online-Therapie sein. Mit ein bisschen Hilfe können sich auch Ungeübte schnell mit der Technik vertraut machen. Letztlich ist wichtig, was für den Einzelnen zielführend ist und womit er sich wohlfühlt. Dies muss manchmal einfach ausprobiert werden. Und die Entscheidung darf jeder für sich treffen.

Häufige Fragen

Was genau unterscheidet eine psychologische Online-Beratung von einer Psychotherapie?

In einer Psychotherapie werden Menschen mit schweren Symptomen entsprechend speziellen Richtlinien behandelt. Diese Symptome deuten auf eine psychische Erkrankung hin, die eine gezielte Behandlung, normalerweise persönlich vor Ort, benötigt.
Auf der anderen Seite ist eine psychologische Online-Beratung für Personen geeignet, die zwar Unterstützung oder Ratschläge brauchen, aber nicht an einer akuten psychischen Erkrankung leiden.

Über die Autorin

Dipl.-Psych. Johanna Trittien, Psychologische Psychotherapeutin

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